Bei der kollegialen Beratung geht es um die praktische Unterstützung von Entscheidungsträgern in betrieblichen Kontexten. Der Sachverstand kompetenter Kollegen wird genutzt, um ihren persönlichen Handlungsspielraum zu erweitern. Eine solche interne Beratung ist gut geeignet, formale Projektmanagement-Ausbildungen sinnvoll zu ergänzen.
Projekt-Führungskräfte stehen immer vor der Herausforderung, ihr Prozesswissen in neuen, unbekannten Kontexten anzuwenden. Terminenge und eine Vielzahl von parallel zu erledigen Aufgaben kennzeichnen den Alltag. Schnelligkeit und konkreter Praxisbezug sind daher wesentliche Faktoren für die Akzeptanz und das Lernen von „Führung im Projekt“ (vgl. auch Führung). Die kollegiale Projektberatung hat sich dabei als gute Ergänzung zu klassischen Seminaren und Trainings erwiesen. Sie leistet einen erheblichen Wertschöpfungsbeitrag zum zeitnahen und kontextbezogenen Wissens- und Erfahrungstransfer. Entlang der konkreten Anliegen aus der aktuellen Projektarbeit unterstützen sich Projektleiter nicht nur gegenseitig in Ihrer Entwicklung als Führungskraft, sondern sorgen gleichzeitig für eine breite „Streuung“ des aktuellen Wissens in der Gesamtorganisation.
Voraussetzungen
Die kollegiale Beratung findet in Gruppen von 6 – 10 Mitgliedern statt, die in regelmäßigen Abstand zusammen kommen. Teilnehmer tragen dabei ihre beruflichen Praxisfragen, Probleme und Fälle vor. Jedes Team und jede Gruppe kann sich zur kollegialen Beratung zusammenfinden. Allerdings sind einige Aspekte im Vorfeld zu bedenken, damit sich alle Beteiligten realistische Bilder von den möglichen Ergebnissen machen können.
Vier Zutaten fördern das Gelingen kollegialer Beratung:
- Vertrauen: Teilnehmer, die sich vertrauen, können miteinander offener sprechen.
- Vertraulichkeit: Verschwiegenheit über Inhalt und Abläufe nach außen hin.
- Unterstützung: Das Bemühen um Unterstützung für die übrigen Teilnehmer.
- Wertschätzung: Wechselseitige Wertschätzung fördert Offenheit.
Das Team sollte ohne größere interne Spannungen oder Konflikte sein. Andernfalls fehlt das Vertrauen, das notwendig ist, um die eigenen Schwierigkeiten zu schildern oder um hilfreiche Ideen zu produzieren.
Phasen der Beratung
Die Beratung erfolgt in folgenden Phasen:
Dauer | Phase | Was geht vor? | Fallgeber | Berater | Moderator
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5’ | Casting | Rollenverteilung: Wer hat ein Anliegen? Wer moderiert? |
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5’-10’ | Anliegen | Der Fallgeber stellt dar, wozu er den Rat der Anwesenden möchte | Beschreibt die Situation nachvollziehbar und ausführlich; formuliert die Frage
| hören zu | begleitet den Fallgeber |
10’ | Befragung | Die anderen (Berater) stellen Verständnisfragen, bis sie das Thema und die erforderlichen Zusammenhänge ausreichend verstanden haben. | antwortet konkret und anschaulich auf die gestellten Fragen | befragen den Fallgeber und klären dabei nur ihr Verständnis | achtet auf das Ausbleiben von Interpretationen und Suggestivfragen
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2’ | Fokussierung | Der Fallgeber präzisiert die Frage an die Berater im Lichte der Verständnisfragen | Formuliert die Frage ggfls. neu | hören zu | achtet darauf, dass nur die Frage fokussiert wird
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10’ | Einordnung des Anliegens | Die Berater interpretieren die Situation und den Kontext, benennen welche Aspekte ihnen relevant erscheinen und entwickeln ein Gesamtverständnis ihrer Beratungsrichtung. | s.o., macht sich Notizen | erarbeiten die Stoßrichtung der Beratung und erhellen den Kontext des Anliegens
| keine Diskussionen |
15’ | Empfehlungen | Die Berater geben Empfehlungen - konkret auf die Fragestellung des Fallgebers bezogen und LOBEN was ihnen m bisherigen Vorgehen gefällt | s.o., macht sich Notizen | Sagen/Schreiben, was man anstelle des Fallgebers tun würde
| keine Diskussionen, nutzt Moderationstechniken |
10’ | Abschluss | Der Fallgeber sagt, welche Gedanken, Aspekte und Empfehlungen ihm wertvoll erscheinen und bedankt sich für die Anregungen und die Hilfe. | gibt erste spontane Resonanz; dankt für die Hilfe | hören zu | achtet auf Zeit und darauf, dass der Fallgeber sich bedankt |
Wirkung & Grenzen
Kollegiale Beratung ist effizient, braucht wenig Aufwand und eignet sich gut für autonome Gruppen, in denen eine ausreichende Vertraulichkeit herrscht. Sie ermöglicht Beratung über Hierarchie und Fachdisziplin hinweg und kann mühelos unterschiedlichste Kompetenzen einbinden.
Kollegiale Beratungsprozesse bearbeiten aktuelle Situationen handlungsorientiert, stärken die Mitarbeiterkompetenzen praxisnah und erweitern den professionellen Handlungsspielraum der Teilnehmer.
An seine Grenzen kommt der kollegiale Beratungsprozess, wenn die Inhalte im vorgegebenen Rahmen nicht zu bearbeiten sind. In Fällen, wo
- stark individuell orientierte Beziehungs- und Persönlichkeitsthemen im Fokus sind,
- die Vertraulichkeit in der Gruppe nicht ausreicht,
- Anliegen mit hoher fachlicher Spezialisierung oder
- Anliegen mit hoher Komplexität bearbeitet werden müssen,
- Strategisch-politische Themen nicht „öffentlich“ gemacht werden können und
- externes Wissen nötig ist
wird der Fallgeber nicht ohne professionelle Beratung, Coaching, etc… auskommen.
Quellen
- Olaf Hinz, „Jenseits von Coaching und Mentoring - kollegiale Praxisberatung“ – Zeitschrift für Organisationsberatung, Supervision, Coaching 01/2008
- Olaf Hinz, „Projektcoaching, Projektmentoring oder doch kollegiale Projektberatung?“- Wann passt welches Konzept der Einzelberatung?, Projekte erfolgreich managen, 2009 http://www.hinz-wirkt.de/downloads/Projektcoaching_mentoring_kollberatung_PEM.pdf
- Olaf Hinz, „kollegiale Projektberatung – dynamische Führungskräfteentwicklung“ in: Becker, Gora u.a.: Die neue Führungskunst - Projektführung und Projektmanagement, Düsseldorf 2009 http://www.symposion.de/elearning?cmslesen/q0002540_27940101
- Kim-Oliver Tietze, kollegiale Beratung - Problemlösung gemeinsam entwickeln, Hamburg 2007
4 Comments
Jens von Gersdorff
Hmmm ... jetzt bin ich etwas verwirrt ...
Es sollte doch normal sein sein Team zu konsultieren, auch ohne Formalismus.
Denn eines sollte jeder PM immer wissen: Er ist nur so gut wie sein Team.
Und ohne Commitment des Teams ist kein Plan durchführbar.
Ich bin also verwirrt, dass es überhaupt ein Thema ist. Ich bin auch erstaunt, wie man für eine absolute Selbstverständlichkeit einen Artikel schreiben kann und dies dann noch in Phasen untergliedert. Denn diese Beratung des Teams ist ein "ongoing" Prozess.
Nicht böse nehmen, aber ich bin überrascht!
Jens
Bernd Roßmüller
Hallo Jens
ich bin noch ganz neu im PM Geschäft, heißt ich bin gerade an der TU Chemnitz und Studiere um das Basiszertifikat zu bekommen. Trotz dem möchte ich dir meine Meinung, mein Verständnis dieser Methode sagen:
Du hast absolut recht, dass das Team reden und die Kommunikation über das Team hinaus gehen muss.
Ich sehe die kollegiale Beratung als eine gutes Werkzeug für die Phase der Projektbildung, also für die Erarbeitung der Ziele und Hauptwege. Auch vor einem Projektstart ist dies eine Möglichkeit sich gut auf ein Kundengespräch vorzubereiten.
Jens von Gersdorff
Moin Bernd,
ich behaupte ja nicht, dass das oben Beschriebene falsch ist. Genau das Gegenteil. Meine Überraschung rührt aus dem methodisieren des Selbstverständlichen.
Ein wichtiger Teil der Teambildung ist es, mit dem Team zu reden, Ihre Vorschläge und Ideen aufzunehmen und vor allem auch zu weiteren Verbesserungen zu motivieren. Je mehr vom Team als Input kommt, um so besser für das PM. Und je mehr das Team (besser seine Mitglieder) wissen, dass ihre Vorschläge auch Umsetzung erfahren, um so mehr stehen sie hinter dem Projekt und seinen Zielen.
Das meinte ich!
Jens
Bernhard Schloß
Hallo Jens,
ich glaube hier liegt ein Missverständnis vor. Das Team in der kollegialen Beratung muss nicht dein Projektteam sein. Es könnte z.B. ein Runde von Projektmanagern in deinem Unternehmen sein, die in ganz unterschiedlichen Projekten stecken und sich gegenseitig beraten/unterstützen/coachen.
Gruß
Bernhard